un·systemischer Ratschlag – Dezember 2021

Tipps zum zweckmäßigen Umgang mit Vorgesetzten, KollegInnen, MitarbeiterInnen, die einem stark emotionalisiert begegnen

Gefühle fokussieren unsere Aufmerksamkeit und Wahrnehmung, sie organisieren und integrieren unsere Gedanken. Während Gefühle nach innen gerichtet wirken, zeigen wir damit einhergehend auch – mehr oder weniger stark wahrnehmbare – nach außen gerichtete Emotionen. Dieses nach innen und außen gerichtete Spiel psychisch und physischer Gestimmtheit benötigt es für eine umfassend gelingende Kommunikation zwischen Personen und Gruppen. Gerade jetzt im Covid19-Kontext, wo Kommunikation vielfach über längere Zeit nur im remote-Modus stattfindet, merken wir, dass eine emotionale Koppelung mit DialogpartnerInnen, ein empathisches Agieren ihnen gegenüber, etc. weniger leicht gelingt. Wenn überhaupt, dann benötigt es häufig mehr verbaler Umwege, hinterlässt einen mit einer Restunsicherheit, was den „wirklichen“ Zustand des „Gegenübers hinter dem Bildschirm“ betrifft sowie was sich eventuell im „Untergrund“ dysfunktional entwickelt.
Mitunter können solche psychischen und physischen Gestimmtheiten bei unseren DialogpartnerInnen auch zu einer weitestgehenden Abkoppelung führen.
Er/sie steckt quasi in einer Art „Affekttrichter“ fest, ist gefangen in einer „Kontextblase“.
Alles von Relevanz wird dann nur noch aus dem Wirklichkeitsraum dieser Blase heraus konstruiert. Auf emotionaler Ebene offenbart sich das beispielsweise in einem
• mit mehr oder weniger Aggression unterlegtem lauten Argumentieren – man spürt richtiggehend die „Wut“ des Gegenübers;
• mit mehr oder weniger Weinerlichkeit unterlegtem Äußern von tiefgreifenden Sorgen – man spürt die dahinter stehende „Angst“ des Gegenübers;
• mit mehr oder weniger physisch wahrnehmbaren Tränen und leiserer Stimme geäußertem Sachverhalt oder auch nur in einem in sich gekehrtem Schweigen – man spürt beim Gegenüber die diesen alles beherrschende „Trauer“ über etwas bzw. jemanden, das/der nicht mehr ist bzw. bald nicht mehr sein wird.

Aus einer DialogpartnerIn ist plötzlich ein „Gegenüber“ im wahrsten Sinn des Wortes geworden. Eine Begegnung, die von wechselseitiger Offenheit geprägt ist, erscheint dann (beinahe) unmöglich. Was aber als Führungskraft, als KollegIn in so einer Situation mit „seinem Gegenüber“ tun?

Für diese drei affektiven Gestimmtheiten, die uns mitunter auch im Mix begegnen – der Psychiater Luc Ciompi bezeichnet „Wut“, „Angst“, „Trauer“ ergänzt um „Neugierde“ und „Freude“ als die fünf menschlichen Grundgefühle –, finden Sie nachstehend einige Umgangsrezepte. Da einem die Emotionen anderer – insbesondere, wenn einem diese mit Nachdruck entgegentreten – gefühls-/emotionsseitig nicht unberührt lassen und rasch bei einem selbst zu affektiven Gegenreaktionen führen, zuvor ein Grundrezept für Sie, das Viktor Frankl, der Begründer der sogenannten „Dritten Wiener Schule der Psychotherapie“ bereitstellt:

„Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum. In diesem Raum hat der Mensch eine Freiheit und Fähigkeit, seine Reaktion zu wählen. In diesen Entscheidungen liegen unser Wachstum und Glück.“

Der frühere Software-Ingenieur, Mindfullness-Trainer und Bestseller-Autor Chade-Meng Tan spricht in diesem Zusammenhang von „Reaktionsflexibilität“. Sofern Sie sich selbst nicht in einem „Affekttrichter“ befinden, können Sie demnach aus dem Sample beispielhaft aufgelisteter Handlungsoptionen wählen …

… Reaktionsoptionen zu „Wut“:

„Agression des Gegenübers nicht auf sich beziehen“; „sich Aufmerksamkeit bekundend zurückhalten und dem Gegenüber ermöglichen, seinen/ihren „Dampf“ einmal abzulassen“; „nicht mit eigener „Gegenrealität“ niederbügeln“; „Wirklichkeit“ des Gegenübers von diesem erzählen lassen“; „sich berichten lassen, was sich er/sie denn eigentlich auf einer Lösungs- und/oder Prozessebene wünschen würde“; „das Gegenüber fragen, was eventuell vom eigenen Verhalten dessen spezifisches Verhalten auslöst“; „die eigenen Gefühle als Reaktion auf das affektive Auftreten des Gegenübers diesem „non violent“ beschreiben“; „Gespräch auf Metaebene bringen – aktuelles Kommunikationsmuster sichtbar machen und sachlich mit den daraus eventuell resultierenden Beschränkungen thematisieren“; „Situation mit aktueller Überforderungs¬einschätzung kommentieren und mit dem explizitem Wunsch nach Vereinbarung eines unmittelbaren Termins zur Gesprächsfortsetzung aussteigen“

… Reaktionsoptionen zu „Angst“:
„Angst des Gegenübers mit „Sorge“ kommentieren und nicht versuchen, diese aus-/wegzu-reden“; „nicht die Sorgen des Gegenübers mit viel-Reden bzw. vorab-Antworten „zuzudecken“ versuchen“; „Befürchtungen zum Sachverhalt und Annahmen dahinter auf Seiten des Gegenübers er¬fragen“; „eigene Betroffenheit offen ansprechen und über den eigenen Umgang damit berichten“; „Informationsbeschaffung zu offenen Fragen unterstützen bzw. verbindlich zusagen“; „sicherheitsstiftende Aspekte mit dem Gegenüber herausarbeiten und die Sicherstellung einer möglichen Realisierung organisieren“; „positive Ressourcen beim Gegenüber und im relevanten Kontext suchen/ansprechen“; „auf relevante Erfolgs¬erlebnisse in der Vergangenheit hinweisen“; „etwas zum gemeinsam „Essen und Trinken“ anbieten“

… Reaktionsoptionen zu „Trauer“:
„aktiv nachfragen, wie es Gegenüber persönlich mit Umstand geht“; „dem Gegenüber „traurig sein“ als natürliches Phänomen bei Verlust benennen und als Voraussetzung fürs Einlassen auf „Neues“ erklären“; „Zeit geben und „soziale“ Räume anbieten, in denen Verab¬schiedung vom „Alten“ bzw. „Verlorenen“ (leichter) möglich ist“; „das Gegenüber über die Situation sprechen lassen und empathisch zuhören/nachfragen“; „gemeinsam mit dem Gegenüber über das „Alte“ bzw. den „Verlust“ reflektieren“; „ohne Druck auf das Gegen¬über auszuüben, anregen, trotz der verständlichen Trauer hinzusehen, was auch neugierig machen könnte“; „Optionen und mögliche Pläne für die Zukunft ableiten und erörtern“; „kleine erste Schritte in eine Zukunft ohne das „Alte“ bzw. „Verlorene“ ge-meinsam mit dem Gegenüber herausarbeiten, positiv kommentieren, eine Unterstützung anbieten“

Alles Gute mit einem Quantum innerer Ruhe!